Minnerl

In memoriam Hermine Lamplmayer, †️ im Februar 2021 im 99.Lebensjahr

Aus “Scherzartikel – Erinnerungen eines Wirtsbuben”, 2017, Sepp Schartmüller

Die Riedlerin, Jahrgang 1922, lässt mich an meiner Einschätzung zweifeln, dass die ausgeschundenen Bauern und Bäuerinnen nicht alt geworden sind. Wenn mein Vater, im 63. Lebensjahr gestorben, zu seinem 60iger kaum mehr einen noch lebenden Schulkollegen hatte, so beweist die Minnerl das Gegenteil.

Wirtshausgeschichten waren und sind nicht immer Gaudigeschichten, weshalb ich den Lebenslauf der Hermine Lamplmayr zum Anlass nehme, einmal auf eine Pointe zu verzichten, weil zum Lachen hatte sie nichts, die Minnerl, wenn ihr auch der Humor bis heute nicht ausgegangen ist. Die ersten zehn im Weltcup der Schispringer und die aktuellen ersten Fünf in der Formel 1 kann man bei der 95jährigen jederzeit auswendig und fehlerfrei in Erfahrung bringen, wenn auch der Fernseher schon sehr laut aufgedreht ist, als ich sie überraschend besuche um mit ihr über die Unterwäsche der Mädchen und die Sexualaufklärung in den 40iger und 50iger Jahren zu reden. Wen sollte man sonst fragen, wenn die Wirtin Anna Resch es nicht glauben will, dass die Weiberleut in dieser Zeit noch keine Unterhosen angehabt haben?

Ob sie es gut erwischt hat mit dem Riedlerhof?

„Tschineilen *schwer arbeiten habe ich mein Lebtag müssen in diesen Leitn *Steilhängen.“

Zu Hause waren sie fünf Mädchen bis der Vater eines Sonntags vom Frühschoppen heimgekommen ist und zur Mutter Aloisa sagte: „Jetzt kriegen wir einen Knecht!“. Seine Frau hat nicht dagegen geredet, eigentlich sei es doch besser, wenn ein Bub einmal das Haus bekommt und nicht eines von den Mentschern *Mädchen. So kam der achtjährige Josef zum Martin z´Wienau (Hausname). Er musste zuerst einmal entlaust werden. Die Minnerl hat ihn drausen auf der Gräd *Hauszugang im Hof die Haare kurzgeschnitten, sonst hätte er alle Mädchen mit seinen Läusen angesteckt. Das hat der Pepperl *Kosename für Josef der Minnerl sein Lebtag nicht verziehen, recht mögen hat er sie nie. Der Pepperl war ein Halbwaise, sein Vater ist in der Steiermark beim Straßenbau verunglückt, dadurch ist seine Mutter narrisch geworden und ins Narrenhaus gekommen, der Bub in ein Heim, in dem furchtbare Zustände herrschten, sodass sich schließlich der Weitersfeldener Bürgermeister seiner annehmen musste, weil der Vater von da abgestammt hat. Der brave Bauer mit lauter Weiberleut musste nicht lange überredet werden, da brauchte man keine Fürsorge, das wurde am Biertisch ausgemacht. Der Pepperl hat dann den Hof doch nicht gekriegt, weil er eine Bedingung gestellt hat: „Nur wenn mich die Rosa heiratet, sonst lern ich was“!. Die Rosa war eine von den fünf Mädchen mein Martin z´Wienau, die wollte ihn aber nicht!

Die Minnerl ist dann viel auf Saisonarbeit gewesen, das hat hauptsächlich das Arbeitsamt vermittelt. Beim „Bäumelsetzen“ *Waldbäume pflanzen in den Herrschaftswäldern (Czernin-Ginzky) da bekam sie auch die Politik zu spüren, wenn die roten Holzhacker mit einem schwarzen Bauernmensch nicht an einem Tisch sitzen, ja nicht einmal mit ihr reden wollten. Bei der Rübenarbeit in Eferding, beim Straßenbau, wo auch die Weiberleut Steine anbohren, klopfen und schleppen mussten, bis sie schließlich der Wirt z´Erdmannsdorf, ihr Cousin (mein Vater), holte, um dort „Mädchen für alles“ zu sein. Vom Servieren bis zum Wasen *Rasenziegel schleppen beim Strohdachdecken.


Damit hatte das Schicksal seinen letzten – nicht weniger mühevollen – Abschnitt besiegelt.

„War es die Liebe zum Riedler Poidl?“

„Schau, er ist ein braver, arbeitssamer Mann gewesen, gerade vom Krieg heimgekommen und hat sich nicht unter die Leute getraut, weil sein Vater gesessen ist im Nazi-Häfn in Pucking, und weil er auch kein ordentliches Gewand dazu hatte. Ich wollte ihn überreden, dass wir mein Elternhaus in der Wienau übernehmen, das war ein ebenes, leicht zu bearbeitendes, Gehöft, nicht so eine Schinterhütte *extrem hanglangiges Anwesen wie das Riedler! Er konnte aber seine Leut, seine Eltern und die blinde Schwester mit ihrem ledigen, schwerstbehinderten Kind, nicht alleine lassen“.

Kurz vor der Hochzeit 1949 ist der Schwiegervater nach zwei Jahren Arrest aus dem Gefängnis entlassen worden. Er war ein Nazi und Ortsbauernführer in Gutau. Wenig später haben die jungen Hofübernehmer die Rechnung präsentiert bekommen. Sie mussten für ihn „Sitzgeld“ bezahlen. Für die Haftkosten ist die Mitgift der Minnerl draufgegangen.

Die Anna, die Schwester vom Poidl, war seit ihrem achten Lebensjahr blind, als Folge einer Gehirnhautentzündung. Während des Krieges hat sie dann auch noch ein Kind gekriegt, den Pepperl. Wer der Vater war und warum der Bub schon schwerstbehindert auf die Welt gekommen ist, darüber will sie nicht reden, da gibt es nur Gerüchte, die man schnellstens wieder vergessen sollte… Der Bub ist 47 Jahre alte geworden, hat sein lebtaglang keinen Schritt gehen, nicht sitzen und nicht reden können. Der „Lackl“ *gewichtiger Busche musste täglich gefüttert und geputzt werden, meistes lag er in einem Leiterwagen, den seine blinde Mutter mit zur Feldarbeit gezogen und im Schatten abgestellte hatte, bis sein Brüllen nicht mehr auszuhalten war. Die blinde Nannerl *Kosewort für Anna hat ihn bis zu seinem letzten Tag gepflegt, ihn in ein Heim zu geben, wäre nie in Frage kommen. Sie hat dann noch acht Jahre gelebt und bis zum Schluss mitgeholfen soweit es ging, Reisig gehackt, Eier abgetragen und das Notwendigste im Haushalt gemacht.

Fünf Kinder hat die Minnerl zu Welt gebracht. Der Hanis ist im Alter von sechs Jahren an einer Gehirnkrankheit gestorben „den hat die Gescheitheit erdrückt…“.

Heute lebt die Minnerl mit Poldi jun. alleine am Hof, ihren Humor hat sie nicht verloren.

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